Markus Ferber ist ein deutscher Europaabgeordneter der der EVP Fraktion angehört. Von 1999 bis 2014 war er Vorsitzender der CSU-Europagruppe im Europäischen Parlament, dem er seit 1994 angehört.
Die Wahlen sind vorbei, die extremen Parteien haben erheblich zugelegt. In Deutschland blieb das zwar aus, aber besonders die Wahlergebnisse in Frankreich und Großbritannien haben schockiert. Was glauben Sie läuft schief in Europa?
Es laufen viele Dinge schief. Erstens haben wir ein Kommunikationsproblem. Europa kann seine Erfolge kaum für sich beanspruchen. Wenn es Erfolge waren, waren es die Mitgliedsstaaten, wenn was schlecht lief, war es die EU.
Auf der anderen Seite hat die Kommission auch viel Anlass zur Kritik gegeben, weil sie sich trotz schwerer Finanz-, Wirtschafts- und Staatsschuldenkrise um viele Details gekümmert hat, die hätten hinten anstehen können. So ist sehr viel Vertrauen kaputt gemacht worden.
Die Aufgabe in dieser Legislaturperiode ist es jetzt Europa wieder auf die Beine zu stellen. Das heisst Konzentration aufs wesentliche! Entlastung von Unternehmen, Staat, und damit auch von Bürgern, und gleichzeitig Wachstumskräfte freisetzen. Wir müssen wettbewerbsfähiger werden. Nicht nur innerhalb der EU sondern auch auf den Weltmärkten.
Wenn das in den nächsten fünf Jahren geschafft wird, können wir auch Vertrauen wieder zurück gewinnen.
Jean Claude Juncker wird höchstwahrscheinlich nächster Kommissionspräsident. Ist das eine gute Sache?
Natürlich! Das Parlament hat gewonnen. Das ist eine gute Botschaft. Die Demokratisierung in Europa geht voran.
Hätte der Rat gewonnen, sprich, hätten sie zwar akzeptiert, dass die EVP die größte Parteienfamilie ist, aber nicht das Jean-Claude Juncker unser Kandidat ist, dann wäre viel Vertrauen zerstört worden. Es wäre der Eindruck entstanden dass das EU Parlament am Ende wirklich nichts zu sagen hat. Von daher bin ich sehr glücklich, dass die schnelle Konzentration des Parlaments auf den Wahlsieger die klare Botschaft war. Das heißt, die Nominierung Hr. Junckers ist der Sieg des EU Parlaments über die Mitgliedsstaaten. Ein nicht einfach zu gewinnender Kampf.
Lange Zeit waren Sie Mitglied und Vorsitzender der Jungen Union. Jugendarbeitslosigkeit ist eines der Kernthemen in Europa heute. Was kann Europa tun um dieses Problem zu beheben?
Was kann die EU machen? Die Mutter aller Fragen.
Ich glaube nicht, dass wir das Problem dadurch lösen indem wir Geld zur Verfügung stellen das dann für Konferenzen in den betroffenen Ländern verwendet wird. Das schafft vielleicht Arbeitsplätze in der Hotellerie und Kongresszentren, aber nicht für junge Menschen. Also das sehe ich sehr kritisch.
Ich denke es geht darum, einen gesunden Mittelstand zu erschaffen, der dezentral Wertschöpfungsketten aufbaut, und damit auch dezentrale Ausbildung und Arbeitsplätze zur Verfügung stellen kann.
Wir müssen gerade in den südeuropäischen Ländern die verschulten Ausbildungsbereiche auf neue Beine stellen. Als Deutscher denkt man natürlich gleich an die duale Ausbildung, aber es muss nicht immer das deutsche Modell sein. Man muss einfach weg von diesem rein verschulten System, zum Beispiel durch über-betriebliche fachliche Ausbildung, und ähnliches. Da gibt es tolle Modelle, das sollte von der EU gefördert werden.
Qualifikation müssen erworben werden, die die Menschen im eigenen Land auch benutzen können. Es macht keinen Sinn große Wanderungsbewegungen auszulösen, und die jungen Menschen aus ihrer Heimat weg, zu vermeintlichen Arbeitsplätzen, umzusiedeln. Das ist nicht der richtige Ansatz. Wir sollten in Europa darauf achten, dass die Menschen in ihrem Umfeld eine Perspektive haben.
Lebensläufe in denen man den gleichen Beruf sein Leben lang ausübt, gibt es nicht mehr. Wir haben auf europäischer Ebene ja schon lange das Stichwort ‚lebenslanges Lernen‘ eingeführt, es wird immer wieder darum gehen sich nach und weiter zu qualifizieren, Neues zu lernen. Das bedingt der Arbeitsmarkt und die ständigen Innovationen. Arbeitnehmer müssen Flexibilität mitbringen.
Auch in den südlichen Ländern ist das so. Dort geht es eben auch nicht nur um die jungen Menschen, sondern auch darum, im Berufsleben Stehende weiter zu qualifizieren, sodass auch sie immer neuen Herausforderungen gewachsen sind. Da leistet der Mittelstand sehr viel, auf eigenen Antrieb hin. Leider gibt es dafür wenig Unterstützung, dort sehe ich grosses Verbesserungspotenzial. Aber das kann nicht alles die EU leisten.
Auch die Mitgliedsstaaten müssen dort helfen. Das kann über Steuerrecht geregelt werden, dass man Kosten absetzen kann, z.B. bei den Betriebsausgaben und ähnlichem. Einfach um einen Anreiz zu schaffen. Und darum geht es in der Wirtschaftswelt – sie werden nicht gewinnen, wenn sie nicht innovativ sind, wenn sie nicht neue Trends erkennen.
Hier ist das Thema Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten entscheidend. Es geht nicht darum, dass Griechenland mit Portugal wettbewerbsfähig wird, sondern Europa muss mit Asien, den USA und Mercosur mithalten können. Nur dann können wir den Menschen eine Chance bieten.
Wenn heute ein spanisches, griechisches oder portugiesisches Unternehmen eine neue Maschine kaufen will, dann zahlt sie immer noch 6-6,5 Prozent Zinsen, in Deutschland und Holland unter drei Prozent, für eine fünf Jahres Finanzierung. Die Kreditvergabe ist Problem Nummer eins.
Problem Nummer zwei: Finden sie Leute die die Maschine bedienen können. In verschulten Ausbildungssystemen ist das schwierig.
Und Problem Nummer drei ist dann: Können sie mit der Maschine auch Produkte herstellen die sie nicht nur auf dem lokalen, sondern auch auf dem regionalen und internationalen Markt verkaufen können? Z.B. als Zulieferer, als Glied in einer europäischen Wertschöpfungskette, oder darüber hinaus.
Diese drei Herausforderungen gilt es zu lösen. Das ist keine Frage der Aufweichung der Sparpolitik, sondern einer intelligenten Nutzung dessen, was verabredet ist. Es steht nirgends geschrieben, dass Mittelstandförderung gekürzt werden soll. Nur es muss in ein Gesamtkonzept passen.
Was mir Sorge macht ist nicht Griechenland, Portugal und Spanien, die Reformen durchgeführt haben, sondern Frankreich und Italien, die jetzt mehr Schulden machen wollen ohne Reformen umzusetzen. Das ist im Stabilitätspakt natürlich nicht vorgesehen.
TTIP ist in aller Munde, aber auch außerhalb dessen gibt es enormes Potenzial im Bereich des Exports und Internationalen Handel. Wo sehen Sie die größten Wachstumschancen?
Da haben wir zwei Themen, erstens TTIP. Dort gibt es große Sorgen bei den Menschen und viele Aspekte wo mir klar ist, dass ein Freihandelsabkommen, das unsere Verbraucherschutz-, Umwelt und Datenschutzstandards und Rechtssystem aushöhlt, von mir keine Zustimmung bekommen wird.
Auf der anderen Seite liegen im Welthandel natürlich große Chancen; auch für den Mittelstand. In meiner Region beispielsweise im Bereich Maschinenbau, gibt es kleine Unternehmen, die mit ihren Produkten Weltmarktführer sind. Früher habe ich selbst in so einem Unternehmen gearbeitet. Für die ist der europäische Heimatmarkt eine Basis aber nur, um die Kraft zu schöpfen um auf dem Weltmarkt bestehen zu können.
Ich glaube, dass wir den Mercosur Raum total unterschätzen, auch wenn Argentinien sich zur Zeit leider wieder in einer Schieflage befindet. Aber Mittel- und Südamerika ist ein interessanter Wachstumsmarkt, der auch auf Grund seiner Geschichte sehr europäisch geprägt ist. Wir haben dort gute Chancen noch präsenter zu sein, vielleicht noch mehr als die Nord-Amerikaner. Das ist für mich so ein vernachlässigter Raum.
Das andere ist Afrika. Hier entstehen langsam auch Strukturen wie Mittelstand und eine Mittelschicht, die auch für Europäer interessant ist. Das sollten wir weiterentwickeln. Und nicht nur den Asiaten zuschauen und ihnen das Revier überlassen. Das ist weder im Interesse der Menschen noch der Umwelt dort.